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Zur Lage der tropischen Wälder weltweit
Auf dem absteigenden Ast
(ROBIN WOOD Magazin 3/2004)
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Seit
mehr als zwanzig Jahren warnt ROBIN WOOD im Chor mit
Umweltorganisationen aus aller Welt vor der
drohenden Zerstörung der tropischen Wälder. Doch
das öffentliche Interesse für die wertvollen
Ökosysteme am Äquator hat nachgelassen, während
die Verwüstung stetig voranschreitet. Der wachsende
Konsum von Holz und Holzprodukten, der entfesselte
globale Handel und fehlender politischer Wille,
Wälder und ihre Bewohner zu schützen sind
Triebfedern der Vernichtung.
Das wichtigste internationale Zahlenwerk über den
Zustand der Wälder ist trotz vieler Vorbehalte die
Statistik der Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
(FAO). Aus ihr geht hervor, dass beinahe die Hälfte
der globalen Waldfläche von knapp vier Milliarden
Hektar in den Tropen liegt. Den jährlichen Verlust
natürlicher Wälder in dieser Klimazone beziffert
sie für 1990 – 2000 mit 14,2 Millionen Hektar,
während die Waldfläche außerhalb der Tropen
geringfügig zunahm.
Die Zahlen der FAO geben jedoch wenig Auskunft über
den Zustand der Wälder, denn bereits Flächen ab
0,5 Hektar mit einem Kronendeckungsgrad von 10
Prozent werden als Wald klassifiziert. Die
drastischen Beeinträchtigungen durch Übernutzung
der Wälder gehen aus diesen Zahlen nicht hervor.
Relativ unberührt sind nur noch etwa 40 Prozent der
tropischen Wälder und auch diese werden
voraussichtlich zum größten Teil in wenigen Jahren
erschlossen sein. Bedenklich ist außerdem, dass die
FAO in ihrer Gesamtbilanz auch naturferne
Monokulturen als Wald einstuft.
Auch was die regionale Situation angeht, sind die
Daten der FAO mit Vorsicht zu genießen, denn sie
basieren vielfach auf veralteten und
oberflächlichen Erfassungen der Tropenländer. Für
eine globale Übersicht sind sie aber unersetzbar.
Demnach entfällt etwa die Hälfte der tropischen
Wälder auf Lateinamerika, ein Drittel auf Afrika
und ein Sechstel auf Asien. Der absolute jährliche
Flächenverlust tropischer Wälder ist in Afrika am
größten (5,3 Millionen Hektar), gefolgt von
Südamerika (3,4 Millionen Hektar) und Asien (2,4
Millionen Hektar).
Die größten geschlossenen Waldgebiete in den
Tropen liegen in Brasilien, der Demokratischen
Republik Kongo und Indonesien. Sie beherbergen
gleichzeitig die bedeutendsten vom WWF ausgewiesenen
„Megadiversitätsgebiete“ mit großer
Artenvielfalt. Während in Südamerika und Afrika
große Regenwaldgebiete voraussichtlich noch einige
Jahrzehnte überstehen werden, wird Indonesien in
einem Jahrzehnt keine großen Naturwälder mehr
vorweisen können.
Aber auch Brasilien und der D.R. Kongo drohen neue
Gefahren. Die Entwaldung Brasiliens nahm 2002
gegenüber den Vorjahren deutlich zu und die
Regierung verfolgt ein großes Infrastrukturprogramm
zur Exportförderung, das die Lage weiter
verschärfen könnte. Die Weltbank, die 2002 ihre
Richtlinien zum Schutz von Urwäldern lockerte, will
trotz chaotischer Verhältnisse in Zentralafrika die
groß angelegte kommerzielle Holznutzung in der D.R.
Kongo fördern.
Unschätzbare Werte der Wälder
Waldgebiete der Tropen sind Lebensraum von rund 300
Millionen Menschen, sie sind unentbehrlicher Teil
des globalen Klimasystems und sie beherbergen die
meisten Lebensformen der Erde. Die vielfältigen
Funktionen tropischer Wälder für seine Bewohner
tauchen aber kaum in Statistiken auf. Wälder
versorgen Menschen mit Wasser, Holz und Nahrung,
bestimmen das regionale Klima und schützen vor
Überschwemmungen. Eine Fülle von
Nichtholzprodukten wie Heilpflanzen, Flechtmaterial,
Harzen, Gummi, Früchten und Nüssen prägen Kultur
und Ökonomie in Waldregionen. Viele Waldgebiete der
Tropen ziehen Touristen an.
Wälder der Tropen beherbergen etwa zwei Drittel
aller Tier- und Pflanzenarten der Welt, von denen
bisher etwa 1,75 Millionen Arten beschrieben wurden.
Die tatsächliche Zahl wird auf 10 bis 100 Millionen
geschätzt. Zwischen 10 und 50 Prozent der in diesen
Lebensräumen beheimateten Arten sind bereits
ausgestorben.
Tropische Wälder und ihre Böden sind enorme
Speicher von Kohlenstoff. Weltweit geht etwa ein
Fünftel der Kohlendioxid-Emissionen auf die
menschliche Landnutzung und Entwaldung zurück (1,6
Gigatonnen). Während der Brände 1997/98 in
Indonesien, von denen zehn Millionen Hektar Wald
betroffen waren, wurden hochgerechnet 0,8 – 2,5
Gigatonnen Kohlendioxid freigesetzt, die
überwiegend aus der Verbrennung von Torf stammten.
1997 verdoppelte sich der Anstieg der
Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre.
Die globale Erwärmung könnte zu einer
Rückkopplung führen, die einen weiteren Anstieg
der Emissionen auslöst. Klimaforscher befürchten,
dass Waldgebiete der Tropen in den kommenden
Jahrzehnten durch zurückgehende Niederschlagsmengen
beeinträchtigt werden und ihre Funktion als
Kohlenstoffspeicher verloren geht.
Ursachen der Zerstörung
Die Ursachen für die Zerstörung der tropischen
Wälder sind vielfältig und greifen komplex
ineinander, teilweise verstärken sie sich
gegenseitig. Unmittelbare Eingriffe, die zum
Rückgang der Wälder führen sind die Umwandlung in
landwirtschaftliche Flächen, etwa für Palmöl,
Soja, Kaffee, Kakao, Kautschuk oder Viehhaltung, der
industrielle Holzeinschlag, Landwirtschaft zur
Eigenversorgung (Wanderfeldbau) und
Brennholznutzung, die Förderung von Rohstoffen
(Erdöl, Gas und Erze) sowie der Ausbau der
Infrastruktur. Jedes Jahr werden in den Tropen knapp
zwei Millionen Hektar neue Plantagen angelegt, die
Hälfte davon durch Umwandlung von Waldgebieten.
Auch die Vernichtung kostbarer Mangrovenwälder für
Garnelenzuchtanlagen dauert an.
Als Hauptursache für den Rückgang der Wälder wird
häufig die kleinbäuerliche Landwirtschaft in
Verbindung mit dem hohen Bevölkerungswachstum in
Entwicklungsländern genannt. Vordergründig trifft
dies auf einige Länder zu. Es wird dabei aber
übersehen, dass dieser Effekt meist auf politisches
Versagen bei der Armutsbekämpfung zurückzuführen
ist und die Kolonisation bisher unberührter
Waldgebiete als soziales Ventil indirekt oder direkt
gefördert wird. Außerdem nehmen die Kleinbauern
die landwirtschaftliche Nutzung vielerorts erst auf,
nachdem zuvor unzugängliche Waldgebiete durch
industrielle Aktivitäten erschlossen wurden.
Es fehlt aber auch am politischen Willen der
Regierungen, etwas gegen die Zerstörung der
tropischen Wälder zu unternehmen. In vielen
Ländern gehört Korruption sowie die Missachtung
von Landrechten, Gesetzen und Schutzgebieten zum
System.
Globalisierung erreicht den Regenwald
Die Mobilität von Kapital und Konzernen
beschleunigt und vereinfacht es, in Südostasien
große Regenwaldgebiete in Öl- und Akazienplantagen
umzuwandeln und den industriellen Holzeinschlag und
Sojaanbau in Brasilien auszudehnen. So weiten global
operierende Holzkonzerne ihre Aktivitäten schon
seit Jahren ins Amazonasgebiet aus, wie zum Beispiel
die malaysische Firma WTK, die in ihrem
Ursprungsland eine Spur der Verwüstung hinterlassen
hat.
Die Industrieländer als mächtige Mitgliedsstaaten
von Weltbank, Internationalem Währungsfonds (IWF)
und Welthandelsorganisation (WTO) bürden den
meisten Tropenländern weiter die ökologischen und
sozialen Folgen einer Finanz- und Wirtschaftspolitik
auf, die allein den Freihandel fördert, jegliche
Regulierung schwächt und die Schuldenkrise
verschärft. Soja, Ölpalmen, Akazien und Eukalyptus
für Lebensmittel, Tierfutter und Papier wachsen auf
ehemaligen Regenwaldflächen und werden für den
Weltmarkt produziert, um insbesondere die Nachfrage
der industrialisierten Länder zu decken.
Internationale Prozesse
Wichtige Ansätze zum Schutz tropischer Wälder
gehen auf die Rio-Konferenz zurück, so etwa die
Agenda 21, die Walderklärung sowie die Konventionen
zu Klima und biologischer Vielfalt. Internationale
Diskussionsprozesse zum Schutz der Wälder - etwa
des United Nations Forum on Forests - im Jahrzehnt
nach Rio erbrachten zwar teilweise wertvolle
Analysen und Aktionsvorschläge, waren aber allesamt
unverbindlich und haben keine spürbaren Erfolge
für den Schutz der Wälder gebracht.
Etwas konkretere Ergebnisse haben die Konferenzen
zur Biodiversitäts-Konvention (CDB) gebracht. Durch
sie wurden die Bemühungen für den Erhalt und
nachhaltige Nutzung natürlicher Wälder sowie die
Anerkennung der Rechte ihrer Bewohner politisch
gestärkt. Verbindliche Regelungen für die gerechte
Gewinnaufteilung für Medikamente und andere
Produkte, die ihren Ursprung in den Tropenwäldern
haben, stehen aber aus, weshalb die
Entwicklungsländer den Industriestaaten
Bio-Piraterie vorwerfen.
Auf der jüngsten Konferenz zur CBD im Februar in
Kuala Lumpur verständigten sich die Teilnehmer auf
die Einrichtung eines weltweiten
Schutzgebietssystems bis 2010, um das Artensterben
deutlich zu vermindern. Ob Finanzierung und
Umsetzung gelingen, bleibt angesichts fehlender
Verbindlichkeit dieses Ziels offen. Schutzgebiete,
bisher auf knapp einem Zehntel der weltweiten
Landfläche ausgewiesen, sind eine der wichtigsten
Maßnahmen zur Erhaltung von natürlichen
Ökosystemen. Besonders dringlich ist der absolute
Schutz der so genannten „Hotspots“ der
Artenvielfalt, die nur 1,4 Prozent der Landfläche
einnehmen, aber 44 Prozent aller Pflanzen und 35
Prozent der Wirbeltiere beherbergen.
Das Kioto-Protokoll zum Klimaschutz, an sich von
größter Bedeutung zur Erhaltung aller Ökosysteme,
birgt im Detail wenig Gutes für die Wälder. Es
enthält keine konkreten Maßnahmen zum Schutz von
Primärwäldern, sieht aber die Anrechnung von
Plantagen als Kohlenstoffspeicher vor. Plantagen
binden den Kohlenstoff jedoch nicht dauerhaft, denn
ein großer Teil des Holzes und seiner Produkte wird
nach einiger Zeit abgebaut oder verbrannt. Sie
stellen daher keine Kompensation für die
Kohlendioxid-Emissionen der Industrieländer dar,
die aus der Verbrennung von dauerhaften
Kohlenstoffspeichern (Kohle, Öl, Gas) stammen.
Außerdem ist bisher nicht sichergestellt, dass
Naturwälder nicht in Plantagen umgewandelt werden
dürfen. Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass
durch Plantagen die lokale Bevölkerung und ihre
ursprünglichen Landnutzungen verdrängt werden, so
dass der Druck auf Waldgebiete steigt.
Zertifizierung – kein Allheilmittel
Der wohl am meisten überschätzte Ansatz zur
Rettung der Wälder ist die Zertifizierung der
sozial und ökologisch akzeptablen, nachhaltigen
Waldwirtschaft. Dabei handelt es sich um einen
freiwilligen Anreiz zur Einhaltung von
Mindeststandards, der die notwendige staatliche
Regulierung zum Schutz der Wälder nicht ersetzen
kann.
Einzig das Zertifikat des Forest Stewardship Council
(FSC) wird weltweit von den meisten namhaften
Umweltorganisationen als Nachweis für eine
ökologisch und sozial vertretbare Waldnutzung
anerkannt. Seit dem Jahr 2000 werden aber weit mehr
Flächen nach anderen, schwächeren Standards
zertifiziert, die nicht geeignet sind, den Schutz
von Urwäldern und die Rechte der lokalen
Bevölkerung zu garantieren (z.B. Programme for the
Endorsement of Forest Certification Schemes, PEFC,
Malaysian Timber Certification Council, MTCC).
Auch der FSC steht unter ständigem Druck der
Wirtschaft, seine Prinzipien, die bereits einen
Kompromiss zwischen wirtschaftlichen, ökologischen
und sozialen Aspekten darstellen, zu lockern. Die
Zertifizierung großer Plantagen-Monokulturen mit
gravierenden ökologischen und sozialen Problemen
und derzeit in der Diskussion befindliche neue
FSC-Bestimmungen zur Kontrolle der Handelskette
gefährden die Glaubwürdigkeit des Siegels. In
Staaten wie Indonesien, in denen die Rechte der
indigenen Völker und der Schutz von Primärwäldern
politisch nicht relevant sind, erscheint das
Versprechen einer legalen, ökologisch und sozial
akzeptablen Waldbewirtschaftung durch Zertifizierung
derzeit unhaltbar.
Ein wichtiger Fortschritt wäre die Umstellung der
öffentlichen Beschaffung von Holz durch Bund,
Länder und Gemeinden auf FSC-Standards. Obwohl im
Jahr 2002 von den Regierungsparteien im
Koalitionsvertrag vereinbart, ist dieser Schritt
noch immer nicht umgesetzt.
Nur Gesetze können Raubbau stoppen
Holzprodukte aus Raubbau in den Tropen ohne
Zertifikat wie Bongossi, Meranti und Mahagoni und
selbst das streng geschützte Ramin werden weiter in
europäischen Ländern verkauft. Gesetzliche
Maßnahmen sind längst überfällig.
Im Mai 2003 stellte die Europäische Kommission den
EU-Aktionsplan Forest Law Enforcement, Governance
and Trade (FLEGT) vor. Zentrales Anliegen ist die
freiwillige Zusammenarbeit mit Staaten, aus denen
Holz illegalen Ursprungs in die EU gelangt. Diese
Länder sollen Unterstützung beim Aufbau von
Lizenzierungssystemen erhalten, um den Handel mit
illegalem Holz zu verhindern. Aus Sicht von ROBIN
WOOD reicht das nicht. Es fehlt an gesetzlichen
Schritten, um Geschäfte mit illegalem Holz zu
sanktionieren, da nur so in allen Erzeugerländern
der nötige Handlungsdruck geschaffen werden kann,
auf die Einhaltung des Rechts zu pochen.
Bei fast allen politischen Prozessen zum Schutz
tropischer Wälder überwiegen freiwillige
gegenüber verbindlichen Ansätzen. Doch nur wenn
Regierungen, Unternehmen und Banken durch Gesetze an
die Einhaltung von ökologischen und sozialen
Mindeststandards gebunden werden, kann weiterer
Schaden verhindert werden.
Umweltschutz braucht globale Gerechtigkeit
Die tiefer liegenden Ursachen für die Zerstörung
der tropischen Wälder liegen im ungerechten
Weltwirtschaftssystem, das den meisten
Tropenländern keine wirksame Armutsbekämpfung
erlaubt und sie zum Ausverkauf ihrer natürlichen
Ressourcen zwingt. Der Tropenwald verschwindet am
schnellsten in Ländern, die hoch verschuldet sind
und unter extremer Armut leiden. Sie brauchen einen
wirksamen Schuldenerlass und mehr Unterstützung aus
den Industriestaaten für die Erhaltung ihrer
Lebensgrundlagen.
Costa Rica etwa konnte im Gegensatz zu seinen
mittelamerikanischen Nachbarn in den vergangenen
Jahrzehnten Krieg und extremer Armut vorbeugen und
ist heute eines der wenigen Länder, das seine
letzten Regenwälder wirksam schützt. Über eine
Million Touristen brachten 2001 Einnahmen von 1,3
Milliarden US-Dollar in das Land. Der Präsident von
Costa Rica Abel Pacheco de la Espriella erklärte
2002: „Wir werden uns behaupten, ohne unsere Natur
zu zerstören. Bevor wir eine Öl-Enklave werden,
bevor wir ein Land voller Bergbauschäden werden,
werde ich Costa Rica mit nachhaltigen Schritten in
eine ökologische Macht verwandeln. Das wirkliche
Öl und das wirkliche Gold der Zukunft sind Wasser
und saubere Luft.“
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