Ob die jüngste Ölpest an der Atlantikküste oder die
Flussverseuchung durch Giftschlämme des Bergbaus in Rumänien vor
wenigen Jahren: Die schlimmsten Umweltkatastrophen werden von
Unternehmen verursacht, die ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt
arbeiten. Da eine internationale Vereinbarung über Verantwortung und
Haftung von multinationalen Unternehmen bis heute nicht existiert,
ignorieren viele Firmen Umweltschutz und Menschenrechte, um ihre Gewinne
zu steigern.
Viele Konzerne nutzen Schlupflöcher vor allem in den ärmeren Teilen der
Erde, um Auflagen aus dem Weg zu gehen. Kommt es zu Unfällen, müssen die
Verursacher nicht für die Kosten aufkommen, da der rechtliche Rahmen dafür
fehlt. So auch 1984 als ein Unglück im Chemiewerk der Union Carbide im
indischen Bhopal 8.000 Menschen das Leben kostete. 150.000 Menschen leiden noch
heute unter den Folgen, ohne dass der Konzern auch nur annähernd für den
Schaden aufgekommen wäre. Eine Konvention über Unternehmensverantwortung –
Corporate Accountability – ist dringender denn je. Bereits seit Jahrzehnten
wird über eine solche Vereinbarung gestritten. Ebenso lange gibt es bereits
internationale und nationale freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft,
die vor allem durch ihre Unverbindlichkeit auffallen und als weiße Weste
dienen: als Argument gegen schärfere Vereinbarungen.
Einer der wenigen Lichtblicke des Gipfels von Johannesburg (s. ROBIN
WOOD-Magazin 4/02) findet sich in § 45 der Abschlusserklärung. Dort heißt es,
die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sollen für
Unternehmensverantwortung aktiv werden („...actively promote corporate
accountability and responsibility“). Nachdem die Diskussion über dieses
wichtige Thema über Jahre stagnierte, da neoliberale Politik und Deregulierung
die internationale Politik beherrschten, sind diese vagen Worte bereits ein
Fortschritt. Für die Vertreter der USA und andere wirtschaftsfreundliche Kräfte
war jedenfalls schon diese Formulierung eine Niederlage.
Dazu beigetragen haben Umweltverbände, allen voran Greenpeace und Friends
of the Earth, die über Monate eine Vereinbarung über Unternehmensverantwortung
für den Gipfel gefordert hatten. Aber auch die Pleiten der Konzerne Worldcom
und Enron, die ihre Buchhaltung manipuliert hatten, dürften zu der Einsicht
einiger Verhandlungsparteien beigetragen haben, dass multinationale Unternehmen
mehr Kontrolle brauchen. Es ist allerdings völlig offen, wann eine
internationale Konvention auf die Tagungsordnung gelangt.
Schon bei der Rio-Konferenz vor 10 Jahren war es nicht gelungen, einen
verbindlichen Ansatz zur Regulierung von Wirtschaftsunternehmen festzulegen. Das
bemängelte auch Klaus Töpfer, der Generaldirektor des Umweltprogramms der UN.
Vor Johannesburg erklärte er in der „Zeit“: „Es rächt sich jetzt, dass
wir uns in Rio mit Kontrolle und Einklagbarkeit der Abkommen kaum beschäftigt
haben.“ Weiter forderte Töpfer „eine Rahmenkonvention für Umwelthaftung.
Haftung ist das entscheidende ökonomische Instrument, Verpflichtung
einzufordern“.
Auch zahlreiche Umweltverbände forderten auf dem UN-Gipfel in Johannesburg
verbindliche internationale Vereinbarungen, die sicherstellen, dass die
Unternehmen für die von ihnen angerichteten Schäden weltweit haften. Die
Umweltverbände warnten vor zu großer Euphorie über partnerschaftliche
Projekte, die keinen Ersatz für die notwendige Regulierung darstellen.
Greenpeace forderte die Staatengemeinschaft anlässlich des Gipfels auf, die so
genannten Bophal-Prinzipien umzusetzen, die Haftung, Vermeidung von doppelten
Standards in armen und reichen Ländern sowie die Einhaltung des Vorsorge- und
des Verursacherprinzips umfassen.
Die Gegensätze, die in den Verhandlungen von Johannesburg sichtbar wurden,
sind nicht neu: freiwillige Vereinbarungen über Menschenrechte,
Arbeitnehmerrechte und Umweltschutz auf der einen Seite, Forderungen nach einer
internationalen, rechtsverbindlichen Konvention, die Sanktionen und Haftung
einschließt, auf der anderen Seite. In den 90er Jahren wurde die Diskussion
durch neue Ansätze von Kooperation der Wirtschaft,
Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und den UN bereichert.
70er Jahre: UN-Verhaltenskodex und OECD-Leitsätze für multinationale
Unternehmen
Schon in den 70er Jahren traten Stimmen innerhalb der UN dafür ein, die
Macht der transnationalen Konzerne („Transnational Corporations“, abgekürzt
TNC) international zu kontrollieren. 1974 verabschiedeten die Vereinten Nationen
drei Resolutionen, welche die Forderungen nach einer neuen
Weltwirtschaftsordnung und weitreichende Kritik an den westlichen Ländern und
ihrer Wirtschaftsbeziehungen zu den Entwicklungsländern enthielten. Im gleichen
Jahr wurde das „United Nations Centre for Transnational Corporations“ (UNCTC)
geschaffen. Ein Grund für die verstärkte Aufmerksamkeit war auch die Rolle von
multinationalen Konzernen beim Sturz der Regierung Allende in Chile. Im Jahr
1977 begannen die Verhandlungen über einen „Verhaltenskodex für
transnationale Konzerne“, der vom UNCTC formuliert worden war.
Gleichzeitig traf die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD), der die reichsten Länder der Welt angehören, eine wichtige
Vereinbarung. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen von 1976
stellen einen Rahmen mit Empfehlungscharakter für Konzerne mit Sitz in den
OECD-Staaten dar und wurden im jahr 2000 weiterentwickelt und konkretisiert. Sie
enthalten nun Kapitel über Umweltmanagement, die Kernarbeitsnormen,
Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung und Verbraucherschutz. Außerdem ist in
der neuen Fassung ein Beschwerdeverfahren über nationale Kontaktstellen
vorgesehen.
80er Jahre: Deregulierung setzt sich durch
Im Laufe der 80er Jahre kam es zu einem Stimmungswechsel bei vielen
Unterorganisationen der Vereinten Nationen. Statt die Aktivitäten der
Unternehmen zu regulieren, mehrten sich die Forderungen nach Deregulierung, um
private Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern zu erleichtern. Nur in
wenigen Fällen führten Verhandlungen über die Regulierung von Handel und
Investitionen zu Ergebnissen.
Anfang der 90er endete die Diskussion ergebnislos, auch der „Code of
Conduct on TNC“ verschwand in der Schublade. Das UNCTC wurde 1992 auf Druck
der USA aufgelöst. Empfehlungen für die Konferenz von Rio wurden nicht berücksichtigt.
So enthält die Agenda 21 kein eigenes Kapitel über multinationale Unternehmen
und nur vage Aussagen über Industrie und Wirtschaft.
90er Jahre: Zeit der Selbstverpflichtungen...
Während Ansätze zur Regulierung auf der Strecke bleiben, konzentrierten
sich die Industrieländer in den 90er Jahren auf die weitere Liberalisierung der
internationalen Handels- und Investitionsbedingungen mit dem Ziel, uneingeschränkten
Spielraum für die Unternehmen zu schaffen. Ausdruck dieser Bestrebungen war der
Versuch der OECD, ein Multilaterales Investitionsabkommen (MAI) zu
verabschieden. Dieser Versuch scheiterte Ende 1998 unter anderem aufgrund des
Protests von Nichtregierungsorganisationen. Nun wird angestrebt die Rechte
transnationaler Investoren in einem internationalen Regelwerk im Rahmen der
Welthandelsorganisation (WTO) festzuschreiben.
Gleichzeitig betrachten die meisten reichen Staaten unverbindliche
Selbstverpflichtungen und Empfehlungen wie die OECD-Leitsätze als ausreichend für
die weltweite Einhaltung ökologischer und sozialer Standards. Die Industrie überschlägt
sich förmlich bei der Formulierung von immer neuen freiwilligen Versprechungen
und Verhaltenskodizes.
Die Mehrzahl dieser Papiere wurden von der Industrie für die Industrie
geschrieben und sind auf die jeweilige Branche oder das Unternehmen
zugeschnitten. Die wichtigsten Selbstverpflichtungserklärungen sind das „Responsible
Care Program“ der Chemischen Industrie von 1984, die „Global Environmental
Charter“ des japanischen Wirtschaftsverbandes Keidanren und die „Business
Charter for Sustainable Development“ der Internationalen Handelskammer (ICC),
beide aus dem Jahr 1991. Allen Erklärungen ist gemeinsam, dass sie in ihren
Aussagen sehr allgemein sind, auf Freiwilligkeit beruhen und keine Sanktions-
und Kontrollmechanismen vorsehen.
... und der Partnerschaften
In den letzten Jahren hat sich ein weiteres Modell der freiwilligen
Selbstverpflichtung etabliert, kooperative Verfahren unter Beteiligung
unterschiedlicher Akteure („Multistakeholder“-Ansatz). Die schleppenden
Verhandlungen über verbindliche Vereinbarungen zur Kontrolle von Konzernen
bewegen viele Nichtregierungsorganisationen zu neuen Strategien. Neben der
traditionellen Lobbyarbeit werden direkte Kampagnen gegenüber ausgewählten
Konzernen begonnen und Kooperationsvereinbarungen mit der Industrie verhandelt,
z.B. der FCKW-freie „Greenpeace-Kühlschrank“. Die Industrie erhofft sich
von der Zusammenarbeit mit international bekannten Umweltorganisationen ihren
schlechten Ruf aufzubessern.
Ein bekanntes Beispiel für eine internationale Organisation, die den „Multistakeholder“-Ansatz
verfolgt, ist der Forest Stewardship Council (FSC) mit Umwelt-, Sozial- und
Wirtschaftskammer. Die vom FSC zertifizierten Forstbetriebe verpflichten sich
zur Einhaltung von gemeinsam formulierten Prinzipien und Kriterien zur
nachhaltigen Waldbewirtschaftung.
Ähnlich arbeitet auch die europäische Kampagne für saubere Kleidung, die
„Clean Clothes Campaign“ (CCC). Das Netzwerk von Verbänden, Kirchen und
Gewerkschaften setzt sich über Öffentlichkeitsarbeit für verbesserte
Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in Entwicklungsländern ein und hat
einen Verhaltenskodex für Handel, Hersteller und Zulieferer formuliert, der
Monitoring und externe Kontrolle einschließt.
Kritische Organisationen, die sich an „Multistakeholder“-Prozessen
beteiligen, befinden sich häufig in einem Spannungsfeld zwischen Konfrontation
und Kooperation. Offensive Kampagnen oder gar Boykott-Aktionen lassen sich nur
schwer mit Dialog und Zusammenarbeit vereinbaren und können in manchen Fällen
die Glaubwürdigkeit gefährden. Daher ist die Mitarbeit an solchen Ansätzen
oft mit Konflikten und Rückschlägen verbunden.
Widerstand der Industrie
Während Selbstverpflichtungen und Partnerschaften erblühen, verfolgen
Unternehmen und Verbände wie die „Business Action for Sustainable Development“,
ein Zusammenschluss des „World Business Council on Sustainable Development“,
der Internationalen Handelskammer und Shell erfolgreich das Ziel, verbindliche
Vereinbarungen zu umgehen. So etwa auf der Sondergeneralversammlung der UN fünf
Jahre nach Rio, die die Lobby nutzte, um deutlich zu machen, dass die Wirtschaft
sich über ihre Selbstverpflichtungen ausreichend selbst kontrolliere.
Daran konnte auch die Kampagne von 70 Organisationen, die sich zu der „Taskforce
on Business and Industry“ (ToBI) zusammenschlossen, nichts ändern. In der
ToBI-Agenda erklärten sie, dass Selbstverpflichtung nicht ausreichend und eine
Vereinbarung über „Corporate Accountability“ unerlässlich sei. Außer der
Teilnahme der ToBI in der Commission on Sustainable Development wurde durch die
Agenda nicht viel erreicht.
Bis in die jüngste Vergangenheit haben die freiwilligen Vereinbarungen
Aufwind. Im Januar 1999 warb UN-Generalsekretär Kofi Annan für seinen
„Global Compact“. Diese Vereinbarung konzentriert sich auf neun elementare
Prinzipien, die Menschenrechte, Arbeitsstandards und den Schutz der Umwelt
umfassen. Schon nach kurzer Zeit haben sich zahlreiche Großunternehmen dieser
freiwilligen Vereinbarung angeschlossen. Der Global Compact wird von der
Mehrzahl der Nichtregierungsorganisationen aufgrund seines freiwilligen
Charakters als unzureichend kritisiert. Sie befürchten, dass die UN durch die
Partnerschaften ihre Rolle im Hinblick auf Handel und Investitionen schwächen
und „die wachsende Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen der
fundamental undemokratischen globalen Konzerne ohne Haftbarkeit gegenüber
Regierungen oder Bürgern“ begünstigen, wie es in einem Gegenentwurf, dem „
Citizen´s Compact“ heißt. Weiter wird kritisiert, dass Unternehmen ihre
Zusammenarbeit mit UN-Organisationen zum „bluewash“ nutzen würden.
Besonders schwer wiegt die Befürchtung, dass Selbstverpflichtungen und
Partnerschaften in erster Linie etabliert werden, um die internationalen Ansätze
zur Regulierung zu ersetzen oder zu stoppen. Die Organisation Corporate Watch
kommentiert, dass „die gleichen verrufenen Konzerne, welche die Konferenz von
Rio zum greenwash nutzten, seither jeden Fortschritt im Umweltschutz bremsen“.
Bevor eine weltweit gültige Konvention über Verantwortung und Haftung von
multinationalen Unternehmen gegen unternehmerische Interessen der Global Player
durchgesetzt werden kann, muss die Menschheit offenbar noch viele
Umweltkatastrophen erleiden. An der Notwendigkeit für eine solche Konvention
besteht kein Zweifel, wie auch die UN erklären: „Man kann nicht erwarten,
dass sich die internationale Wirtschaft seine eigene Regulierung vorschreibt,
das ist die Aufgabe von Regierungen,“ (United Nations Research Institute for
Social Development).
Mehr Informationen zum Thema unter www.corporate-accountability.org
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